Arbeitnehmer beim Online-Lernen

Arbeitnehmer beim Online-Lernen, Bild: iStock.com, JLco - Julia Amaral,

nicht unter freier Lizenz 

Jonas Durr arbeitet bei einem Pharmaunternehmen und muss für seinen Arbeitgeber regelmäßig an (Online-)Fortbildungen in unterschiedlichen Bereichen teilnehmen. Er stellt mit der Zeit bei sich fest, dass es ihm bei fachlichen Fortbildungen und wissenschaftlichen Austauschen sehr viel wichtiger ist, sein Wissen und Können zu zeigen als zum Beispiel bei Unterweisungen und IT-Lehrgängen, bei denen es nicht um Reputation und gute Ergebnisse geht. Er erinnert sich daran, dass es seinen Eltern besonders wichtig war, dass er in bestimmten Fächern gute Noten mit nach Hause brachte. Für gute Noten gab es zu Hause immer eine Belohnung, zum Beispiel durfte er sich sein Lieblingsessen wünschen.  

Anabel Kirsch spielte als Kind Volleyball in einem Verein. Sie war eine gute Spielerin und freute sich, wenn sie der Mannschaft zum Sieg verhelfen konnte. Auch ihre Eltern waren von ihrem Erfolg begeistert und luden sie und ihre Freundinnen nach einem Sieg häufig zum Eisessen ein. Nach Niederlagen hingegen war die Stimmung häufig bedrückt und das Eis fiel aus. Auch heute als Erwachsene bemerkt Anabel Kirsch, dass Prüfungs- und Leistungssituationen für sie besonders schwierig sind und sie sich vor negativen Konsequenzen und Ausgrenzung fürchtet. Gerade Online-Fortbildungen versucht sie zu vermeiden, da sie die Anforderungen dort wenig abschätzen kann. 

Leitfrage zur Reflexion

Vielen Menschen geht es ähnlich wie Herrn Durr und Frau Kirsch. Oftmals ist es ihnen aber nicht klar, woher die Freude an bestimmten Aufgaben oder die Furcht vor Misserfolg rühren. Erst eine Bewusstmachung und Selbstreflexion können solche Zusammenhänge aufdecken.  

Kennen Sie solche Zusammenhänge von sich selbst, bei Bekannten oder Teilnehmenden in Ihren Kursen? 

Das Risiko-Wahl-Modell von Atkinson  

Atkinsons (1923-2003) Erwartungswerttheorie gehört zum Kognitivismus und untersucht Prozesse, die indirekt unser Verhalten beeinflussen. Laut Atkinson bestimmen sowohl die Erwartungen an die Zielerreichung als auch den Wert, den wir dem Ziel beimessen, unsere Motivation.  

Atkinsons Theorie der Leistungsmotivation, auch Risikowahlmodell genannt, untersucht, wie Menschen in bestimmten Situationen zwischen verschiedenen Leistungsaufgaben wählen. Die Leistungsmotivation treibt eine Person dazu, eine als relevant betrachtete Aufgabe zielgerichtet und ausdauernd zu bearbeiten. Die individuelle Ausprägung der Leistungsmotivation wird durch prägende Erfahrungen in der Kindheit beeinflusst. 

Die Kurve der Leistungsmotivation

Die Kurve aufsuchender Leistungsmotivation im Risiko-Wahl-Modell, Bild: Eigene Darstellung nach Atkinson, 1957

Generell gilt: Wenn das Ergebnis einer Tätigkeit für uns positiv ist, ist auch der Anreiz positiv. Hat das Ergebnis negative Auswirkungen, ist sein Wert negativ. Hinzu kommt, dass Menschen eine Tendenz haben, Misserfolge zu vermeiden (vgl. Rheinberg & Vollmeyer, 2012).  

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Atkinson die Leistungsmotivation als Ergebnis eines inneren Konflikts zwischen Annäherungs- und Vermeidungstendenzen betrachtet, das durch Gefühle wie Stolz und Scham entsteht. Beim Bewältigen einer Aufgabe stehen Lernende daher im Konflikt zwischen der „Hoffnung auf Erfolg“ und der „Furcht vor Misserfolg“. Letztendlich hängt die Entscheidung, eine Aufgabe anzugehen, von diesen beiden Komponenten ab. (vgl. Rheinberg & Vollmeyer, 2012; Hasselhorn & Gold, 2013).  

Lernmotivation in digitalen Lehr-Lernsettings  

In digitalen Lehr-Lernsettings ist es für Teilnehmende oft sehr viel schwieriger, die eigenen Erfolgs- oder Misserfolgschancen zu bemessen, da der direkte, aber auch der informelle Austausch mit anderen Teilnehmenden und den Lehrenden schwieriger ist oder wegfällt. Auch ist die Möglichkeit, als Lehrperson Schwierigkeiten zu entdecken und einzugreifen oder zu regulieren, häufig schwieriger.  

Rheinberg & Vollmeyer (2012) formulieren folgende Empfehlungen, um Atkinsons Erkenntnisse in Lernumgebungen umzusetzen:  

  • Lernende sollten Aufgaben verschiedener Schwierigkeitsgrade erhalten. Nach Atkinson werden Lernende die Aufgaben wählen, die sie gerade noch bewältigen können.
  • Mit Leistungsrückmeldungen und lernförderlichem Feedback lassen sich Teilnehmende erreichen und ermutigen, die Angst vor Misserfolg haben.

Referenzen

Atkinson, J. W. (1964). An introduction to motivation. Princeton/New York: van Nostrand.  

Hasselhorn, M. & Gold, A. (2013). Pädagogische Psychologie. Erfolgreiches Lernen und Lehren (3. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.  

Heckhausen, J. (2006). Motivation und Handeln,  Berlin, Heidelberg: Springer.

Krapp, A. (1993). Die Psychologie der Lernmotivation. Perspektiven der Forschung und Probleme ihrer pädagogischen Rezeption. Zeitschrift für Pädagogik, 39 (1993), 187-206.  

McClelland, D. C., Atkinson, J. W., Clark, R. A., & Lowell, E. L. (1953). The achievement motive. New York: Appleton-Century-Crofts.  

Rheinberg, F., & Vollmeyer, R. (2012). Motivation (8. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.  

Zander, S. & Heidig, S. (2020). Motivationsdesign bei der Konzeption multimedialer Lernumgebungen. In Niegemann, H. & Weinberger, A. (Hrsg.), Handbuch Bildungstechnologie - Konzeption und Einsatz digitaler Lernumgebungen. Berling, Heidelberg: Springer. S. 393-416.