Die Beschäftigung mit Natur- und Kulturschätzen hat eine lange Geschichte. Im Umfeld der Nationalpark-Idee, die Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA entstand, kam auch die Frage auf, wie die Besonderheit einer Landschaft Besuchern und Besucherinnen zu vermitteln sei. Eng verbunden damit war der Gedanke, durch den Kontakt mit Naturphänomenen oder Kulturdenkmälern dieses besondere Erbe zu schätzen und zu erhalten. Diese Aktivität bezeichnet sich im Englischen als Heritage Interpretation. Die erste Organisation von Personen, die in diesem Feld tätig waren, gründete sich 1954 mit der Association of Interpretive Naturalists (AIN) in den USA.

 

Freeman Tilden

Portrait Freeman Tilden. (Bild:  US National Park Service,
 Wikimedia Commons, gemeinfrei.)

Freeman Tilden definierte Heritage Interpretation (Natur- und Kulturinterpretation) 1957 in seinem Buch "Interpreting our Heritage" erstmals als eine Bildungsaktivität. Dabei legte er Wert darauf, dass es nicht alleine um die reine Vermittlung von Faktenwissen geht, sondern dass die unmittelbare Erfahrung im Kontakt mit dem Objekt und mithilfe von Medien tiefere Bedeutungen und Zusammenhänge enthüllt.  Tildens sechs Grundsätze für die Heritage Interpretation lauten: 

  1. Eine Interpretation sollte eine Beziehung herstellen zwischen dem vorgestellten Objekt und der Persönlichkeit oder den Erfahrungen der Besucherinnen und Besucher.
  2. Interpretation ist mehr als Informationsvermittlung, sie ist Enthüllung auf der Basis von Information.
  3. Interpretation ist eine Kunst, unabhängig von dem vorgestellten Objekt oder Werk. Bis zu einem gewissen Punkt lässt diese Kunst sich erlernen.
  4. Interpretation will nicht belehren, sondern provozieren im Sinn von herausfordern.
  5. Interpretation ist ein ganzheitlicher Ansatz in Bezug auf das vorgestellte Werk oder Objekt und in Bezug auf die Adressatinnen und Adressaten.
  6. Interpretation für Kinder folgt grundsätzlich einem anderen Ansatz als die Interpretation für Erwachsene.

Tildens Grundsätze fanden in den USA ein großes Echo besonders bei Nationalparks und anderen Landschaftsschützern, aber auch in botanischen Gärten und (Freilicht-)Museen. Seit 1970 gibt es an einigen US-Universitäten Natur- und Kulturinterpretation als Studienfach.

Der Ansatz der Heritage Interpretation ist in englischsprachigen Ländern sehr verbreitet, andere EU-Staaten kamen seit der Jahrtausendwende dazu. Im Jahr 2010 gründete sich Interpret Europe, das europäische Netzwerk für Heritage Interpretation, dem mehr als 300 Mitglieder aus über 40 Ländern angehören.

 

Heritage Interpretation und Erwachsenenbildung

Im Gegensatz zu den USA gab es in vielen europäischen Ländern bereits Konzepte zum non-formalen und informellen Lernen. Dennoch glauben die Vertreter und Vertreterinnen der Heritage Interpretation gute Argumente für ihr Konzept zu haben: Die Vermittlung tieferliegender Bedeutung steht im Zentrum dieses Ansatzes. Es geht um mehr als nur das Aufzählen von Daten und Fakten zum vorgestellten Werk oder Objekt. Eine qualitätvolle Kultur- oder Naturerbe-Vermittlung soll vier grundlegende Elemente herausarbeiten:

  • Wahrnehmbare Phänomene in Erfahrungen verwandeln
  • Eine tiefere Bedeutung erschließen
  • Achtung für Natur- und Kulturerbe fördern
  • Resonanz bei Besuchern und Besucherinnen erzeugen

Mit dem Bezug zu den Erfahrungen der Besucherinnen und Besucher  bietet die Heritage Interpretation  Anschluss an aktuelle Empfehlungen der UNESCO zum Lebenslangen Lernen.  Erfahrungslernen  spielt im UNESCO-Programm "Bildung für nachhaltige Entwicklung"  eine wichtige Rolle bei der Umsetzung. Dieser Ansatz ist nicht ohne die umfassende Beteiligung der Lernenden denkbar.  Ohne den Einbezug der Besucherinnen und Besucher ist es auch nicht möglich, bei ihnen Resonanz auf das Erlebte hervorzurufen.  Angebote der Heritage Interpretation richten sich nicht nur an  Touristen und Touristinnen, auch die Anwohner und Anwohnerinnen und örtliche Communities im Umfeld von Kultur- oder Naturerbestätten sind angesprochen. Sie sind einerseits möglicherweise interessiert daran, diese besser kennenzulernen, andererseits können sie Besucherinnen und Besuchern eventuell spannende Zugänge zu einem Denkmal oder einer Landschaft eröffnen.

Vor diesem Hintergrund lässt sich Heritage Interpretation  in der Erwachsenenbildung mit verschiedenen Bereichen verbinden: nicht nur mit dem "klassischen" Besuch von kulturellen  Denkmälern oder  Naturparks, sondern zum Beispiel auch mit Veranstaltungen zur politischen Bildung.

Referenzen

Bildung für nachhaltige Entwicklung – Deutsche UNESCO-Kommission. Verfügbar unter: https://www.unesco.de/bildung/bildung-fuer-nachhaltige-entwicklung (zuletzt abgerufen am  12.12.2020)

InHerit. Aus- und Weiterbildung in der Natur- und Kulturinterpretation (Heritage Interpretation) – eine Einführung. Verfügbar unter: http://www.interpret-europe.net/fileadmin/Documents/projects/InHerit/Brochure-20pag-InHerit-DE.pdf (zuletzt abgerufen am 16.11.2020)

Natur- und Kulturinterpretation. Verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Natur-_und_Kulturinterpretation (zuletzt abgerufen am 16.11.2020)

Tilden, F. (1957). Interpreting Our Heritage. Chapel Hill: The University of North Carolina Press.