Lernwiderstand wird als Ablehnung einer Lernaufforderung definiert. Das bedeutet, dass Lernende bewusst oder unbewusst den Lernweg verlassen. Während die Ursachen selbst im Kurs, der Institution oder aber auch im persönlichen Umfeld oder Vorerfahrungen liegen können, sind die Auslöser meistens leichter ersichtlich. Der Erziehungswissenschaftler Peter Faulstich unterscheidet hier fünf verschiedene Auslöserkategorien: Diese können im Kursablauf selbst, in den gewählten Medien und Materialien, der Lehrperson, den räumlichen Bedingungen oder der Teilnehmendengruppe begründet sein. Während Lehrende auf Ursachen im persönlichen Umfeld der Teilnehmenden keinen Einfluss haben (eine schlechte Lernerfahrung ist ja vielleicht schon gemacht und kann daher nicht mehr verhindert werden), können sie hingegen lernen, mögliche Auslöser von Lernwiderständen im Unterricht zu erkennen, ihnen vorzubeugen oder sie zu beseitigen. Im Folgenden soll es um die  räumlichen Bedingungen gehen.

Bewegen Sie den Regler in der Bildmitte, um den Unterschied zwischen einer ansprechenden und einer weniger einladenden Lernumgebung zu sehen.

 

 

Räumliche Gegebenheiten machen einen Unterschied! Sie sind meist klar und unmittelbar sichtbar und werden trotzdem vielfach übersehen. Sie werden als vorhanden hingenommen, ohne ihren Wert oder ihre Gefahr zu beachten. Der italienische Pädagoge Loris Malaguzzi definierte die Rolle des Raumes sogar als „dritten Pädagogen“ nach den Mitlernenden und der Lehrperson.  

Dieser „dritte Pädagoge“ hat erheblichen Einfluss auf den Lernprozess, da er sowohl auf das physische als auch auf das psychische Befinden wirkt.

Praktische allgemeine Wirkung

Gibt es im Raum zu wenig Sitzplätze, funktioniert das Licht nicht, sind Mobiliar oder technische Gerätschaften defekt oder ist mit der vorhandenen Ausstattung das Kursformat nicht durchführbar – es gibt viele praktische Gründe, warum Raumbedingungen den Lernprozess stören oder sogar verhindern können. Ist das Zeichnen von Messtischkarten Inhalt der Weiterbildung, es gibt aber keine Tische zum Zeichnen im Raum, dann ist reibungsloses Arbeiten und damit Lernen schlichtweg nicht möglich.

Strichzeichnung: Teilnehmer Florian Heuser

Florian Heuser ist nicht sonderlich begeistert vom Kursraum und seiner Ausstattung: Die Stühle sind unbequem und die Tische so schwer, dass man sie kaum verschieben kann. Dabei wäre genau das wichtig, weil sich der Kurs nun für eine Gruppenarbeit aufteilen soll. Es wäre hilfreich, wenn jedes Kursmitglied weiterhin einen Tisch zur Verfügung hätte und Notizen nicht auf den Knien gemacht werden müssten.

 

Mittel- oder unmittelbare biologische Wirkung

Die Einflüsse der Raumfaktoren auf das physische Empfinden werden meist nicht bewusst wahrgenommen, sind aber erheblich. Mangelnde Sauerstoffzufuhr, zu hohe oder zu niedrige Luftfeuchtigkeit oder auch ein erhöhter Herzschlag aufgrund der Raumfarbe sind Faktoren die kurzfristig das Allgemeinbefinden und langfristig auch die Gesundheit beeinträchtigen können. Sauerstoffmangel führt zu Kopfschmerzen und verminderter Leistungsfähigkeit – kein Wunder also, wenn sich Kursteilnehmende dadurch in ihrem Lernprozess gestört fühlen und nicht weiter lernen können und wollen.

Strichzeichnung: Teilnehmerin Silvia Rath

Silvia Rath ist eigentlich zufrieden mit ihrer Fortbildung. Der Dozent gibt sich Mühe und das Thema ist spannend. Leider macht ihr nun die Hitze im Raum zu schaffen.  Wenn man aber das Fenster öffnet, zieht Zigarettenqualm der Raucherecke in den Raum. Silvia Rath hat schon richtig Kopfschmerzen davon und kann sich kaum mehr auf den Kurs konzentrieren.

Bewusste - kognitiv vermittelte - psychologische Wirkung

Abblätternde Wandfarbe, unbequeme Stühle oder schlechtes Licht – manche räumlichen Mängel erzeugen bei Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern eine schlechte Stimmung. Sie beziehen negative räumliche Bedingungen dann auf die Lehrperson oder die Institution. Die Ursache ihres Ärgers ist zum Beispiel die angenommene Unprofessionalität von Lehrkraft oder Institution, die für die Mängel verantwortlich sind oder die fehlende Wertschätzung der eigenen Person. Haben Kursteilnehmende beispielsweise finanziellen und/oder zeitlichen Aufwand auf sich genommen, um die Weiterbildung besuchen zu können, bringen sie gewisse Erwartungen mit. Werden diese Erwartungen nicht erfüllt, fühlen sich die Teilnehmenden nicht willkommen oder als Kunde nicht wertgeschätzt. An einem Ort, an dem sich ein Mensch aber weder willkommen noch wertgeschätzt fühlt, möchte und kann er nicht lernen.

Silvia Rath ärgert sich nun doch wieder: Die Einrichtung des Raumes lässt keine flexible Tisch- oder Sitzordnung zu. In der Fortbildungsankündigung wurde aber damit geworben, der professionelle Bildungsanbieter für Erwachsene würde flexible Lernarrangements vorstellen und durchführen. Da müsste man doch eigentlich auch eine entsprechend flexible Ausstattung erwarten, oder nicht?! Ihr scheint der Anbieter doch nicht so professionell zu sein, wie erwartet.

Teil-/ unbewusste (emotional vermittelte) psychologische Wirkung

Die Stimmung eines Raumes ist schwer zu beschreiben. Sie drückt sich aus durch das Gefühl, was man bekommt, wenn man einen Raum betritt oder sich länger darin aufhält. Ist ein Raum nur notdürftig und lieblos eingerichtet, spürt ein Mensch das, ohne darüber nachdenken zu müssen. Farben, Lichtverhältnisse, Merkmale von Einrichtungsgegenständen prägen eine Stimmung. Ist diese Stimmung negativ, beeinflusst das auch die Leistungsfähigkeit.

Strichzeichnung: Teilnehmer Florian Heuser

Florian Heuser merkt, wie sich seine Laune im Laufe der Fortbildung immer weiter verschlechtert. Der Raum ist furchtbar bieder und altbacken eingerichtet und dazu noch dunkel gestrichen. Diese Atmosphäre drückt nun auf seine Stimmung und senkt  seine Motivation für das  Fortbildungsprogramm.

Ungünstige räumliche Bedingungen sind alleine nur selten Auslöser für Lernwiderstände. Ist die emotionale Grundstimmung durch die räumlichen Bedingungen aber negativ gepolt, können selbst kleinere Zwischenfälle einen Lernwiderstand auslösen.

Manche räumliche Faktoren gehen aber über die Bewertung „ungünstig“ hinaus. Dazu gehören fehlende Ausstattung, ohne die der Kurs nicht angemessen durchzuführen ist, ebenso wie Faktoren, die die Gesundheit belasten und so das Lernen erschweren oder verhindern. Hier sind Lernwiderstände nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich.

 


Referenzen

Faulstich, P. & Grell, P. (2003). Lernwiderstände aufdecken – Selbstbestimmtes Lernen stärken. Verfügbar unter: http://www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-2003/faulstich03_01.pdf   (zuletzt abgerufen am 18.09.2019)

Gnahs, D. (2006). Organisiertes Lernen – Organisierter Widerstand. In P. Faulstich & M. Bayer (Hrsg.), Lernwiderstände Unveränderte Neuauflage (55-68). Hamburg: VSA-Verlag.

Müller-Bailon, M. (2006). Der Dritte Pädagoge. Verfügbar unter http://www.fr.de/rhein-main/dossier/meinung/leitartikel-der-dritte-paedagoge-a-1182774

Richter, P. G. (2012). Wie wirken Räume? Verfügbar unter http://www.architekturpsychologie-dresden.de/ddarbeiten/vortrag-richter-whitecube.pdf    (zuletzt abgerufen am 18.09.2019)