Lernwiderstand wird als Ablehnung einer Lernaufforderung definiert. Das bedeutet, dass Lernende bewusst oder unbewusst den Lernweg verlassen. Während die Ursachen selbst im Kurs, der Institution oder aber auch im persönlichen Umfeld oder Vorerfahrungen liegen können, sind die Auslöser meistens leichter ersichtlich.
Faulstich und Grell (2003) sortieren Lernwiderstände in fünf verschiedene sogenannte "Lernwiderstandsphänomen-Rubriken": Diese können im Kursablauf selbst, in den gewählten Medien und Materialien, der Lehrperson, den räumlichen Bedingungen oder der Teilnehmendengruppe begründet sein. Während Lehrende auf Ursachen im persönlichen Umfeld der Teilnehmenden keinen Einfluss haben (eine schlechte Lernerfahrung ist ja vielleicht schon gemacht und kann daher nicht mehr verhindert werden), können sie hingegen lernen, mögliche Auslöser von Lernwiderständen im Unterricht zu erkennen, ihnen vorzubeugen oder sie zu beseitigen. Im Folgenden soll es um die räumlichen Bedingungen gehen.
Bewegen Sie den Regler in der Bildmitte, um den Unterschied zwischen einer ansprechenden und einer weniger einladenden Lernumgebung zu sehen.
Räumliche Gegebenheiten machen einen Unterschied! Sie sind meist klar und unmittelbar sichtbar und werden trotzdem vielfach übersehen. Sie werden als vorhanden hingenommen, ohne ihren Wert oder ihre Gefahr zu beachten. Der italienische Pädagoge Loris Malaguzzi definierte die Rolle des Raumes sogar als „dritten Pädagogen“ nach den Mitlernenden und der Lehrperson.
Dieser „dritte Pädagoge“ hat erheblichen Einfluss auf den Lernprozess, da er sowohl auf das physische als auch auf das psychische Befinden wirkt.
Praktische allgemeine Wirkung
Gibt es im Raum zu wenig Sitzplätze, funktioniert das Licht nicht, sind Mobiliar oder technische Gerätschaften defekt oder ist mit der vorhandenen Ausstattung das Kursformat nicht durchführbar – es gibt viele praktische Gründe, warum Raumbedingungen den Lernprozess stören oder sogar verhindern können. Ist das Zeichnen von Messtischkarten Inhalt der Weiterbildung, es gibt aber keine Tische zum Zeichnen im Raum, dann ist reibungsloses Arbeiten und damit Lernen schlichtweg nicht möglich.
Mittel- oder unmittelbare biologische Wirkung
Die Einflüsse der Raumfaktoren auf das physische Empfinden werden meist nicht bewusst wahrgenommen, sind aber erheblich. Mangelnde Sauerstoffzufuhr, zu hohe oder zu niedrige Luftfeuchtigkeit oder auch ein erhöhter Herzschlag aufgrund der Raumfarbe sind Faktoren die kurzfristig das Allgemeinbefinden und langfristig auch die Gesundheit beeinträchtigen können. Sauerstoffmangel führt zu Kopfschmerzen und verminderter Leistungsfähigkeit – kein Wunder also, wenn sich Kursteilnehmende dadurch in ihrem Lernprozess gestört fühlen und nicht weiter lernen können und wollen.
Bewusste - kognitiv vermittelte - psychologische Wirkung
Abblätternde Wandfarbe, unbequeme Stühle oder schlechtes Licht – manche räumlichen Mängel erzeugen bei Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern eine schlechte Stimmung. Sie beziehen negative räumliche Bedingungen dann auf die Lehrperson oder die Institution. Die Ursache ihres Ärgers ist zum Beispiel die angenommene Unprofessionalität von Lehrkraft oder Institution, die für die Mängel verantwortlich sind oder die fehlende Wertschätzung der eigenen Person. Haben Kursteilnehmende beispielsweise finanziellen und/oder zeitlichen Aufwand auf sich genommen, um die Weiterbildung besuchen zu können, bringen sie gewisse Erwartungen mit. Werden diese Erwartungen nicht erfüllt, fühlen sich die Teilnehmenden nicht willkommen oder als Kunde nicht wertgeschätzt. An einem Ort, an dem sich ein Mensch aber weder willkommen noch wertgeschätzt fühlt, möchte und kann er nicht lernen.
Teil-/ unbewusste (emotional vermittelte) psychologische Wirkung
Die Stimmung eines Raumes ist schwer zu beschreiben. Sie drückt sich aus durch das Gefühl, was man bekommt, wenn man einen Raum betritt oder sich länger darin aufhält. Ist ein Raum nur notdürftig und lieblos eingerichtet, spürt ein Mensch das, ohne darüber nachdenken zu müssen. Farben, Lichtverhältnisse, Merkmale von Einrichtungsgegenständen prägen eine Stimmung. Ist diese Stimmung negativ, beeinflusst das auch die Leistungsfähigkeit.
Ungünstige räumliche Bedingungen sind alleine nur selten Auslöser für Lernwiderstände. Ist die emotionale Grundstimmung durch die räumlichen Bedingungen aber negativ gepolt, können selbst kleinere Zwischenfälle einen Lernwiderstand auslösen.
Manche räumliche Faktoren gehen aber über die Bewertung „ungünstig“ hinaus. Dazu gehören fehlende Ausstattung, ohne die der Kurs nicht angemessen durchzuführen ist, ebenso wie Faktoren, die die Gesundheit belasten und so das Lernen erschweren oder verhindern. Hier sind Lernwiderstände nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich.