Um die Lernanforderungen und  Teilnehmervoraussetzungen möglichst gut zusammenzubringen, müssen Lehrkräfte zwei didaktische Leistungen erbringen: Sie müssen zum einen schon bei der Planung die Voraussetzungen bei der Zielgruppe berücksichtigen und zum anderen die Teilnehmenden während der Weiterbildung mit einbeziehen und  deren Bedürfnisse berücksichtigen: Partizipation. 

 Mit Partizipation ist die didaktisch-methodische Mitbestimmung der Teilnehmenden in der Weiterbildung gemeint. Es  muss jedoch keineswegs teilnehmerorientiert sein, die Kursmitglieder gleich zu Beginn nach ihren Wünschen und Erwartungen zu fragen. Viele können zu Beginn kaum sagen, was und wie sie lernen möchten. Allerdings können die meisten sagen, was zu der Thematik schon bekannt ist und für welche Verwendungssituationen und aus welchen Gründen man sich mit diesem Thema beschäftigen möchte. Jedoch können Lernende in einer Gruppe sehr unterschiedliche Wünsche und Erwartungen haben und auch die Bedürfnislage einzelner Teilnehmende kann ambivalent und widersprüchlich sein. So kann es zum Beispiel für Lernende positiv sein, sich bei der Lösung einer Herausforderung helfen zu lassen. Gleichzeitig kann es für sie unangenehm sein, sich dadurch in eine Abhängigkeit begeben zu müssen.

Das klingt, als könnten es Lehrende eigentlich nur falsch machen. Horst Siebert beschreibt es wie folgt: 

 „Teilnehmerorientierung ist ein Prozess: zu Beginn eines Seminars sind andere Regelungen möglich und sinnvoll als im Verlauf. Teilnehmerorientierung erfordert ein Ernst nehmen der Teilnehmer/innen, aber auch den Mut zur „Gegensteuerung“.“

(Horst Siebert, 2003)

Um Teilnehmerorientierung jedoch nicht zu stark zu problematisieren, ist die didaktische Handlungsperspektive des Amerikaners David Hunt hilfreich. Für ihn ist Teilnehmerorientierung auch die Anpassung des Lehrverhaltens an die Teilnehmenden und ihre Lernstile. Daraus resultiert seine Idee des Lehrverhaltens als „reading“ und „flexing“. 


Was ist „Reading“?

„Reading“ bedeutet, die Gruppe oder eine Kurssituation zu erfassen oder zu „lesen“, also Lernschwierigkeiten, Über- oder Unterforderung, Irritation, Aha-Erlebnisse und andere nonverbale Signale wahrzunehmen und zu erkennen. 

 

Das Bild zeigt, wie eine Dozentin im Seminarraum die Signale der Studierenden wahrnimmt, z. B. Lernschwierigkeiten und Überforderung.

Reading, Bild: Eigene Darstellung

 

Lehrende sind hierbei gefordert, die Lernsignale der Teilnehmenden zu erkennen und zu deuten. Dies fordert sie zur Reflexion der eigenen Wahrnehmungs- und Handlungsmuster heraus, denn zum Veranstaltungsbeginn schaut man in fremde Gesichter. Sprachliche Äußerungen, non-verbale Gesten und paralinguistische (sprachbegleitende) Zeichen müssen in schneller Abfolge entschlüsselt und interpretiert werden – bis hin zum vermeintlichen „Gedankenlesen“. Es stellt sich aber meist keine eindeutige und beständige Lesart, kein geschlossenes inneres Wahrnehmungsbild von den Erwartungen, Gefühlen und Gedanken der Kursmitglieder hinsichtlich der Art der Beziehungsgestaltung, inhaltlichen Gewichtung und methodischen Bearbeitung des Themenbereichs ein, da Erfahrungs- und Bewertungswerte fehlen. Und trotzdem muss sich die Lehrperson irgendwie verhalten. 

Erfahren Lehrende zu Beginn viel über die einzelnen Teilnehmenden, stellt sich meist schnell eine interaktionelle Vertrautheit und ein (zumindest subjektiv sinnvolles, wenn auch hypothetisches) Bild von ihnen ein, auf das sie sich in der Folge verlassen. Hierbei kann sich das Bild über die einzelnen Lernenden jeweils verändern.

„Reading“ ist folglich ein dynamischer, sich in der Zeit und in Abhängigkeit vom situativen Handlungskontext verändernder Prozess, der die Beziehung zu anderen (mit)gestaltet. Auf der Teilnehmerseite können ähnliche Entwicklungen vermutet und unterstellt werden.

 

Was ist „Flexing“?

Das „Flexing“ schließt an das „Reading“ an und bedeutet, nach dem Wahrnehmen situativ angemessen darauf zu reagieren und gegebenenfalls das Konzept zu verändern, spontan andere Methoden vorzuschlagen, auch wenn sie nicht geplant waren („Flexing“). Vor allem geht es darum, zu erkennen, wann eine Lerngruppe mehr Steuerung braucht beziehungsweise wann die Selbststeuerung der Gruppe ausreichend ist. Auch ist es wichtig zu erkennen, wann mehr Verwendungssituationen für die Lerninhalte berücksichtigt werden sollten, um einen Transfer – also die Verlagerung des Gelernten in die Praxis – zu ermöglichen.

Im deutschen Sprachgebrauch würde man den Begriff „Flexing“ mit dem Wort „Anpassung“ übersetzen. Hier schwingt jedoch die Vorstellung eines passiven Nachgebens wider besseren Wissens mit, was jedoch mit dem Wort „Flexing“ nicht gemeint ist. Das in diesem Zusammenhang von Hunt im Original gebrauchte Wort „matching“ lässt dagegen auf die eigentliche Funktion schließen: Das zähe Ringen um den Angleichungsversuch von Positionen oder den spielerischen Prozess des Aushandelns von unterschiedlichen Definitionen ein und derselben Situation.

 

Das Bild zeigt, wie dieselbe Dozentin beim "Flexing" auf die wahrgenommenen Signale der Studierenden reagiert. Sie lässt z. B. mehr Fragen zu und spricht langsamer.

Flexing, Bild: Eigene Darstellung

 

Die Flexibilität von Lehrenden bzw. ihre Anpassungsfähigkeit hat allerdings auch ihre Grenzen. Diese können 

  1. in den Strukturen und Anforderungen des Lerninhalts und
  2. im Stil und Temperament der Lehrenden

begründet sind. Die Variationsbreite des Lehrverhaltens und das Methodenrepertoire sind  begrenzt und lassen sich nicht beliebig erweitern, denn Lehrende müssen sich mit „ihrem“ Handeln und Methoden identifizieren können. 

Es lässt sich außerdem zwischen einer impliziten und einer expliziten Anpassung des Lehrverhaltens unterscheiden. Implizit erfolgt ein „Flexing“ zum Beispiel, wenn die Lehrperson langsamer spricht, mehr Fragen zulässt, Fremdwörter erklärt, mehr visualisiert. Explizite Regelungen können sein, für eine innere Differenzierung Arbeitsgruppen zu bilden, ergänzende Texte auszuwählen oder das Tutorat einzuführen, bei dem Fortgeschrittene Anfänger und Anfängerinnen betreuen. 

 

Einen Konsens herstellen

„Flexing“ kann auch bedeuten, einen Konsens innerhalb der Gruppe herzustellen, wenn Teilnehmende unterschiedliche Erwartungen und Wünsche haben. Hierfür gibt es verschiedene Formen der Konsensverfahren. 

Werden zu Beginn einer Veranstaltung die Planung präsentiert und das Einverständnis der Kursmitglieder eingeholt, stellt dies bereits ein Konsensverfahren dar. 

Mitunter lösen Konsensverfahren auch einen weiteren Lernprozess bei den Teilnehmenden aus: Nicht alle sind Mit- und Selbstbestimmung im Lernprozess gewohnt; einige wünschen es sich womöglich gar nicht erst. 

Eckard König und Gerda Volmer, Begründer der systemischen Organisationsberatung, betonen, dass Konsens herzustellen nicht bedeutet, dass man sich immer wieder in endlose Verfahrensdiskussionen verstrickt. Konsens herzustellen, kann bedeuten, dass

  • die Lehrkraft eine Vorgehensweise oder Inhalte vorschlägt und durch Nachfragen die Zustimmung der Teilnehmenden einholt,
  • die Lehrkraft alternative Vorgehensweisen anbietet, zum Beispiel zur Art der Vermittlung,
  • die Lehrkraft mit den Teilnehmenden vereinbart, dass sie ihre Wünsche nach Inhalten, Übungsphasen etc. einbringen.

Ob dieser Anspruch im Einzelfall eingelöst werden kann, hängt dabei wesentlich von der jeweils definierten Rolle der Teilnehmenden ab bzw. von der zwischen Lehrenden, Lernenden, Institution oder Strukturbedingungen (zum Bespiel zu erfüllende Lehrpläne) verteilten Entscheidungs-  und Setzungsmacht.


Referenzen

Breloer, G., Dauber & H., Tietgens, H. (1980). Teilnehmerorientierung und Selbststeuerung in der Erwachsenenbildung. Braunschweig: Westermann.

König, E. & Volmer, G. (2005). Einführung in das systemische Denken und Handeln. Weinheim: Beltz.

Siebert, H. (2003). Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung – Didaktik aus konstruktivistischer Sicht. München: Luchterhand.

Thiel, H. (1991). Dimensionen des Selbstkonzepts von Erwachsenenbildnern – ein Modell zur Reflexion des Lehrverhaltens. In: Tietgens, H. (Hrsg.), Kommunikation in Lehr-Lern-Prozessen mit Erwachsenen (S. 148-161). Frankfurt: Pädagogische Arbeitsstelle des DVV.