Das problembasierte Lernen integriert den kognitivistischen und den situierten Ansatz des Lernens, in dem die Instruktionsprozesse der Lehrperson wie auch die Konstruktionsprozesse der Lernenden thematisiert werden. Die Balance zwischen Instruktion und Konstruktion in Abhängigkeit von den Lernvoraussetzungen und dem Lerngegenstand stellt die zentrale Forderung dar.
Theoretische Begründung
Als theoretischer Hintergrund kommen bei der neueren Entwicklung von Modellen problembasierten Unterrichts Ergebnisse aus der kognitiv orientierten Instruktions-Psychologie zum Tragen. Hierbei handelt es sich um dieselben Ansätze, aus denen das „Situierte Lernen“ hervorgegangen ist. Es besteht die Annahme, dass Lernen immer eine Auseinandersetzung einer Person mit Gegenständen in einer bestimmten Situation ist (vgl. Gräsel 1997). Demnach ist Lernen immer situations- und kontextgebunden. Diese Theorien beziehen sich zum einen auf die Gestaltung des „Problems“ und zum anderen auf die Rahmenbedingungen des Lernprozesses. Authentische „Probleme“ als Einstieg in das Lernen bieten die geeignete Umsetzungsmöglichkeit dieser Forderung.
Die Fähigkeit, Probleme lösen zu lernen, zählt zu den entscheidenden Merkmalen der menschlichen Intelligenz. Sie ist direkt mit der Lern-, Kommunikations- und Teamfähigkeit verbunden und soll es den Menschen grundsätzlich erleichtern, sich in den immer schneller verändernden Gegebenheiten der heutigen Wissens- und Informationsgesellschaft zurechtzufinden. Barrows (2000) weist darauf hin, dass die meisten Probleme im Arbeitsalltag und im Leben „ill-structured problems“ sind. Sie weisen immer wieder dieselben Merkmale auf:
- Es wird mehr Information benötigt, um die Zusammenhänge zu erkennen,
- es gibt nicht nur einen Weg, die Information zu akquirieren; die Problemlöserin bzw. der Problemlöser muss fragen, ausprobieren und experimentieren, um ihr oder sein Wissen zu erweitern,
- das Problem verlagert sich, wenn neue Informationen gewonnen wurden,
- die Problemlöserin oder der Problemlöser kann nie sicher sein, ob sie oder er das Problem richtig analysiert, aufgelöst oder gelöst hat.
Problembasiertes Lernen orientiert sich an diesen praktischen Bedürfnissen. Dabei steht die Entwicklung von tragfähigen Strategien zum Umgang mit mehr oder weniger komplexen Problemen oder Fragestellungen im Vordergrund.
Empirische Studien zeigen, dass problemorientiertes Lernen insbesondere im Hinblick auf den Aufbau von Handlungskompetenz Vorteile gegenüber traditionellen Formen der Wissensvermittlung hat (vgl. Albanese/Mitchell 1993). Zudem scheinen unterschiedliche Lernvoraussetzungen die Wirkung des problembasierten Lernens zu beeinflussen. Die Befunde verdeutlichen, dass Lernende mit unterschiedlichen wissensbezogenen Lernvoraussetzungen unterschiedlich von problembasiertem Lernen profitieren. Lernumgebungen sollten daher immer in Abhängigkeit von den Aufgabenstellungen bzw. den Lernzielen sowie dem Vorwissen und den Vorerfahrungen der Lernenden flexibel und um instruktionale Anteile ergänzt gestaltet werden.
Prinzipien und Arbeitsschritte problembasierten Lernens
Durch Lernen über einen Problemlöseprozess entwickelt sich aktives Wissen, wobei Zusammenhangsdenken angebahnt wird. Dieses Wissen kann geschickt in die Lebens- und Arbeitswelt übertragen und darauf angepasst werden. Neben der Beantwortung von Fragen erhält das gezielte Vorgehen immer mehr Gewicht. Für das Erarbeiten und Aneignen von Lösungsstrategien ist das problembasierte Lernen prädestiniert. Der Lernprozess wird als eigenaktiv und konstruktiv angesehen, der jedoch durch geeignete Unterstützung durch die Lehrperson angeregt, gefördert und verbessert werden kann. So nimmt die oder der Lernende eine vorwiegend aktive Position ein, die manchmal durch rezeptive Anteile unterbrochen wird. Die Aufgabe der Lehrperson verändert sich vom traditionellen Belehren zum konstruktiven Begleiten. Sie dient den Lernenden vorwiegend als Beraterin oder Coach, die anleitet, darbietet und erklärt. Die jeweilige Aktivität der Lehrperson richtet sich auf eine optimale Förderung und Reflexion des Lernprozesses.
Der Lernablauf ist bei problembasiertem Lernen in der Regel als Lernzirkel formalisiert.
Klicken Sie auf die Fragezeichen in der Grafik, um sich Informationen zu den vier Hauptschritten (nach Barrows 2005) anzeigen zu lassen.
Die differenzierte, möglichst standardisierte Evaluation, die für den vollen Erfolg von problembasiertem Lernen notwendig ist, kann als Schritt fünf gesehen werden. Nach der Evaluation schließt sich der Lernzirkel durch eine weitere Abfolge mit einem neuen Problem.
Die Lernenden sind, indem sie ihr Wissen selbständig konstruieren, aktiv und eigenverantwortlich in ihren eigenen Lernprozess involviert. Sie lernen, wie man selbstgesteuert lernt. Diese Wissensgrundlage und diese Handlungsstrategie sind als Hilfestellung für die Auseinandersetzung mit zukünftigen Problemen gedacht, um so die Voraussetzung und Motivation für ein befriedigendes, lebenslanges Lernen zu schaffen.
Gestaltung problembasierter Lernumgebungen
Das problembasierte Lernen weist als Methode viele Verbindungen zu anderen handlungsorientierten Methoden auf. Begleitet durch empirische Studien wurden einige Modelle für die Gestaltung problemorientierter Lernumgebungen entwickelt, z. B. der Anchored-Instruction-Ansatz oder der Cognitive-Apprenticeship-Ansatz.
Die größte Schwierigkeit besteht in der motivierenden und gleichzeitig herausfordernden Konstruktion von adäquaten Problemen, weil in ihnen nicht nur der Impuls des Lernens liegt, sondern auch die Entwicklungsmöglichkeit der gewünschten Fähigkeiten und Einstellungen. Die Qualität der Konstruktion steht in direkter Abhängigkeit zu der des Lernens.
Die gewählten Problemstellungen stellen den Ausgangspunkt des Lernens dar, dem keine systematische Wissensvermittlung vorangestellt sein sollte. Sie bilden den Rahmen für selbstgesteuerte Aktivitäten der Lernenden, die ihre Ziele soweit wie möglich selbst festlegen und über einen möglichst breiten Entscheidungsspielraum verfügen sollten, welche Ressourcen sie in welcher Reihenfolge bearbeiten wollen.
Die Bearbeitung der Problemstellungen erfolgt in der Regel in kleinen Gruppen, was nicht nur lerntheoretisch, sondern vor allem auch praktisch begründet ist. Die Lernenden werden verpflichtet, ihre Ressourcen zu nutzen und die anderen daran teilhaben zu lassen. Dadurch, dass sie sich gegenseitig ständig unterstützen und regulieren, sind sie immer wieder auch Lehrende. Gleichzeitig sollen sie sich in den sozialen Verband der Kleingruppe integrieren, um über fachliche Auseinandersetzungen die Kommunikation und das Sozialverhalten im Team auszubauen. Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Metakognition. Aus der Selbst- und Fremdwahrnehmung mit entsprechender Evaluation resultiert eine differenzierte Selbsteinschätzung. Mit der kritischen Distanz zu fachlichen Inhalten sollen die Lernenden die Vorgehensweise des objektivierten bzw. wissenschaftlichen Arbeitens erleben und autonomes Handeln einüben.