„Reading“ bedeutet, die Gruppe oder eine Kurssituation zu erfassen oder zu „lesen“, also Lernschwierigkeiten, Über- oder Unterforderung, Irritationen, Aha-Erlebnisse und andere nonverbale Signale wahrzunehmen und zu erkennen.
Lehrende sind hierbei gefordert, die Lernsignale der Teilnehmenden zu erkennen und zu deuten. Dies fordert sie zur Reflexion der eigenen Wahrnehmungs- und Handlungsmuster heraus, denn zum Veranstaltungsbeginn schaut man in fremde Gesichter. Sprachliche Äußerungen, non-verbale Gesten und paralinguistische (sprachbegleitende) Zeichen müssen in schneller Abfolge entschlüsselt und interpretiert werden – bis hin zum vermeintlichen „Gedankenlesen“. Es stellt sich aber meist keine eindeutige und beständige Lesart, kein geschlossenes inneres Wahrnehmungsbild von den Erwartungen, Gefühlen und Gedanken der Kursmitglieder hinsichtlich der Art der Beziehungsgestaltung, inhaltlichen Gewichtung und methodischen Bearbeitung des Themenbereichs ein, da Erfahrungs- und Bewertungswerte fehlen. Und trotzdem muss sich die Lehrperson irgendwie verhalten.
“Reading” in digitalen Weiterbildungen
Digitale Kurse stellen für die Lehrperson eine zusätzliche Herausforderung dar, wenn es darum geht, die Lerngruppe zu „lesen“. Denn das räumliche Bewusstsein ermöglicht es uns, „die Äußerungen anderer besser zu interpretieren und die Handlungen anderer vorhersehen zu können. Beim Arbeiten auf Distanz fehlt uns das.“ (Stahl, 2021, S. 29). Interaktion und Kommunikation bieten hier eine wichtige Unterstützung. Wenn Lehrende z.B. zu Beginn viel über die einzelnen Teilnehmenden erfahren, z.B. durch eine Kennenlernrunde oder ein Kennenlernspiel, entsteht in der Regel viel eher eine interaktionale Vertrautheit und ein (zumindest subjektiv sinnvolles, wenn auch hypothetisches) Bild von ihnen, auf das sie sich in der Folge verlassen. Dabei kann sich das Bild über die einzelnen Lernenden von Zeit zu Zeit ändern.
Umfrage- und Feedback-Tools, auch Audience Response Systeme genannt, erfreuen sich bei Lehrenden digitaler, aber auch analoger Kurse großer Beliebtheit. Dabei handelt es sich um digitale Tools, mit denen Lehrende den Lernenden fachbezogene Fragen stellen können, um deren Lernstand zu erfahren, aber auch um situationsbezogene Informationen und Feedback einzuholen. „Gefragt werden die Lernenden etwa nach ihrer subjektiven Aufnahme des bisherigen Unterrichtsgeschehens und -tempos, Verstehensschwierigkeiten oder nach ihren Wünschen an den weiteren Unterrichtsverlauf. Die Kommentare, die auf diese Weise gesammelt werden, spiegeln individuelles Lernverhalten und -vorlieben.“ (Gunhild Berg, 2019, S. 99). Eine Befragung kann von der Lehrperson auch im Vorfeld als Vorbereitung auf die Lehrveranstaltung durchgeführt werden. Empfehlenswert ist in jedem Fall auch eine Kennenlernrunde oder ein Kennenlernspiel zu Beginn des Seminars.