Nur wenn das Lehr-Lern-Umfeld Flexibilität bietet, können  individuelle Bedürfnisse und Unterschiedlichkeiten berücksichtigt werden. Dies ermöglicht es jedem, erfolgreich zu lernen und potenzielle Hindernisse zu überwinden. Aber wie kann das erreicht werden?

Um auf die unterschiedlichen Voraussetzungen einzugehen, sollten Kursleiter zu Beginn eines Bildungsangebots das Vorwissen und die Fähigkeiten der Lernenden einschätzen. Dies kann in digitalen Kursen durch eine Umfrage vorab oder zu Beginn der Weiterbildung erfolgen.  

Sind Unterschiede zwischen den Teilnehmenden eher gering, bietet sich eine latente Differenzierung an. Dabei werden aufkommende Fragestellungen bearbeitet und entsprechende Hilfen angeboten (vgl. Klein 2016). 

Wie machen das andere? Zwei Praxisbeispiele aus digitalen Kursen

Frau Weber spricht hier über latente Differenzierung in ihrem Kurs:

Ich gebe  aktuell eine  Online-Weiterbildung  für berufstätige Erwachsene  zum Thema Digitalmarketing.  Es ist eine eher kleine Gruppe von fünf Teilnehmenden mit leicht unterschiedlichen Erfahrungen und  Vorkenntnissen.  

Mir ist es sehr wichtig, die Bedürfnisse aller Lernenden im Blick zu haben. Deshalb erklärte ich zu Beginn das Konzept des digitalen Marketings  und gab ihnen im Anschluss eine Aufgabe zum  Thema.  Ich wusste jedoch, dass eine Teilnehmerin  zum Beispiel das Tool, mit dem die Aufgabe umgesetzt werden sollte, noch nicht kannte. Und ein anderer Teilnehmer hatte mir vor der Weiterbildung mitgeteilt, dass  es ihm manchmal schwer fällt, konzentriert in Stille an einer Aufgabe zu arbeiten. Deshalb habe ich alle gemeinsam die Aufgabe erledigen lassen und dann  immer wieder individuelle Hinweise und Unterstützungen gegeben oder offene Fragen gestellt, die zur Lösung der Aufgabe beitrugen.

Es war ein schönes Gefühl, zu merken, dass alle nicht nur ihre digitalen Marketingkenntnisse verbessert haben, sondern auch ihren individuellen Bedürfnissen gerecht werden konnten.“

Sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Teilnehmenden größer, muss die Förderung individueller sein. Ergänzend zum Gruppengeschehen sorgen Lehrende für individuelle(re) Materialien, Aufgaben und Begleitung. 

Hier spricht  Herr Bankamu über eine individuellere Förderung in der Gruppe:

„Ich biete einen Online-Kurs zum Thema Programmieren an. In der Kursgruppe gab es aber von Beginn an große Unterschiede bezüglich allgemeiner Vorerfahrungen und der beruflichen Erfahrung in der Softwareentwicklung. 

Deshalb habe ich versucht, die Teilnehmenden spezifischer zu fördern.  Neben den gemeinsamen Lerninhalten habe ich immer individuelle Materialien und Aufgaben angeboten, die entweder zur Bearbeitung der Aufgabe beitrugen oder über die eigentliche Aufgabe hinaus gingen. Außerdem habe ich versucht, die Lernenden persönlich zu begleiten. 

Einem Teilnehmer habe ich  anspruchsvolle Aufgaben, die seine Fähigkeiten herausforderten, gegeben. Eine Teilnehmerin bekam spezielle Übungsmaterialien, um ihre Programmierkenntnisse zu vertiefen, da sie schon gute Grundkenntnisse hatte. Zwei weitere Teilnehmende hatten wenig Erfahrung und erhielten praktische Anleitungen und zusätzliche Ressourcen, um die Grundlagen zu erlernen.  

Ich habe gemerkt, wie eine individuellere Förderung, bestehend aus maßgeschneiderten Materialien, Aufgaben und persönlicher Betreuung, dazu beitragen kann, auch bei großen Unterschieden in einer Lerngruppe optimale Ergebnisse zu erzielen.“

Theoretische Vorgehensweisen und Modelle für eine Binnendifferenzierung

Leistungsgruppen oder Projektarbeit? Zwei unterschiedliche didaktische Ausrichtungen

 

Die Grafik zeigt einen Online-Kurs, bei dem neun Teilnehmende in einer Gruppe sind.

Verschiedene Teilnehmende, iStock.com,  RLT_Images, nicht unter freier Lizenz 

Die folgenden beiden didaktischen Vorgehensweisen sind bei der Binnendifferenzierung denkbar (nach Demmig, 2008, vgl. Klein, 2016):

 

stärker Lehrenden-gesteuerte Differenzierung:Eine Lehrenden-zentrierte Differenzierung bedeutet, dass Lehrende den Lernenden Material oder Aufgaben anbieten, um sie zusätzlich zu fördern oder herauszufordern. Gleichzeitig helfen sie anderen dabei, grundlegende Kenntnisse aufzubauen.
stärker Lernenden-gesteuerte Binnendifferenzierung:Eine Lernenden-gesteuerte Binnendifferenzierung nutzt stärker Methoden des autonomen, selbst gesteuerten Lernens setzt (wie z.B. Projektarbeiten).

 

Wie viel Vorgabe soll es sein? Drei unterschiedliche Herangehensweisen

Nach dem Ausmaß der Vorgabe und Steuerung durch Lehrende entwickelte Bönsch (2008) drei „Lernsets“ für die Binnendifferenzierung (nach Aschemann et al. 2011).

Hier können Sie sich drei Karten zu den Lernsets für die Binnendifferenzierung anschauen. Wenden Sie die Karten, um die Rückseite zu sehen.

Wonach kann differenziert werden?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nach den folgenden Aspekten differenziert werden kann (vgl. Scholz, 2007; Kaufmann, 2007; Kiper, 2008, nach Aschemann et al. 2011):  

  • Leistungsanforderungen/Schwierigkeitsgraden (Niveaudifferenzierung)
  • Lerninhalten bzw. Themen
  • Lernzielen
  • Medien, Materialien oder Textsorten
  • Methoden bzw. (geschlossenen/offenen) Aufgabentypen
  • Lernzeiten
  • Lerntechniken/Lernstrategien (Fördern von individuellen Lernstilen)

Je nach Thema, Zielsetzungen und Vorgaben, Zielgruppe, Setting, Ressourcen und technischen Voraussetzungen müssen Lehrende gut abwägen, welche Merkmale sich wie gut für eine Differenzierung eignen und realisieren lassen.


Referenzen

Aschemann, B., Gugler P., & Nimmerfall, M. (2011). Vierzig Wege der Binnendifferenzierung für heterogene LernerInnen-Gruppen. Graz: Frauenservice Graz. 

Bönsch, M. (2008). Methodik der Differenzierung. Die Berufsbildende Schule, 60/2008, S. 324- 328. 

Demmig, S. (2007). Das professionelle Handlungswissen von DaZ-Lehrenden in der Erwachsenenbildung am Beispiel Binnendifferenzierung. München: Iudicium.

Kaufmann, S. (2007). Heterogenität und Binnendifferenzierung im DaZ-Unterricht. In S. Kaufmann (Hrsg.), Fortbildung für DaZ-Kursleitende (S. 186 – 214). Ismaning: Hueber.

Kiper, H. (2008). Unterrichtsplanung für heterogene Lerngruppen. In H. Kiper,  S. Miller, C. Palentien & C. Rohlfs (Hrsg.), Lernarrangements für heterogene Gruppen (S. 127-152). Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt. 

Klein, R. (2016). Binnendifferenzierung. wb-web. Verfügbar unter www.die-bonn.de/wb/2016-binnendifferenzierung-01.pdf  (zuletzt abgerufen am 06.09.2023). 

Scholz, I. (2007). Es ist normal, verschieden zu sein – Unterrichten in heterogenen Klassen. In I. Scholz (Hrsg.). Der Spagat zwischen Fördern und Fordern: Unterrichten in heterogenen Klassen (S. 7-23). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.