Phänomene, Interpreten, Leitideen − die Begrifflichkeiten der Heritage Interpretation mögen zunächst ungewohnt sein. Lernen Sie die zentralen Elemente kennen und anwenden.
Vier wesentliche Aspekte sind Basis einer gelungenen Begegnung mit Natur- und Kulturerbe. Thorsten Ludwig, ein Vorreiter der Heritage Interpretation-Bewegung in Deutschland, hat dazu das folgende Bild des Interpretationsdreiecks entwickelt.
Der Gegenstand der Interpretation wird Phänomen genannt. Dies kann aus Natur und Kunst stammen oder auch ein immaterielles Erbe sein, wie zum Beispiel eine Tradition.
Interpret oder Interpretin ist der Guide, der Trainer oder die Trainerin, der oder die Lehrende.
Teilnehmende sind Besucher und Besucherinnen, Touristen und Touristinnen, Anwohner und Anwohnerinnen, Lernende.
Die Leitidee steht für eine Bedeutung, die jenseits von Fakten mit dem Phänomen verbunden werden kann. Sie sollte einen Bezug zur Lebenswelt der Teilnehmenden haben. Bedeutungen können individuell sein oder unabhängig von sozialen und kulturellen Unterschieden für fast alle Menschen gelten. Dann spricht die Heritage Interpretation von Universalien. Die Leitidee bildet den roten Faden für die Führung.
Diese vier Aspekte spielen in der Interpretation zusammen:
- Sie ermöglicht Erfahrungen anhand der (wahrnehmbaren) Phänomene.
- Sie entwickelt eine Leitidee für die Erschließung einer tieferen Bedeutung.
- Sie vermittelt in der Haltung des Interpreten bzw. der Interpretin Bewusstsein für Natur- und Kulturerbe.
- Sie verursacht in den Teilnehmenden Resonanz.
Die Freiburger Akademie für Universitäre Weiterbildung (FRAUW), eine Einrichtung der Universität Freiburg, schult Interessierte zum Certified Interpretive Guide. Sie betont, dass Heritage Interpretation ein werteorientiertes Bildungskonzept sei: Interpretation unterstütze die Teilnehmenden dabei, "das Erlebte in Sinnzusammenhänge einzuordnen und sich tiefere, persönlich relevante Bedeutungsschichten zu erschließen. Gute Interpretation regt auch dazu an, Natur- und Kulturphänomene aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und Klischees zu hinterfragen."
In den Guidelines der Organisation europäischer Heritage Interpreters Interpret Europe wird ein weiteres Element gelingender Interpretation genannt: Es geht nicht alleine um die Weitergabe von Information, sondern um das Aufdecken neuer Erkenntnisse und um die Provokation neuer Denkweisen und Fragestellungen. Heritage Interpretation bedient sich zu diesem Zweck des Storytellings und erzählt die Geschichten, die mit dem Erbe verbunden sind.
Ziel der Interpretation
"Im Vergleich mit anderen Konzepten des Lernens aus unmittelbarer Erfahrung ist das hervorstechende Merkmal der Natur- und Kulturinterpretation, dass sie die Besucher aktiv ermutigt, ihre Erlebnisse zu interpretieren, d. h. nach tieferen Bedeutungen und Sinnzusammenhängen hinter den Fakten zu suchen", schreibt der Heritage Interpretation-Experte Patrick Lehnes. Die unmittelbare Begegnung mit dem Phänomen ist hierfür unabdingbare Voraussetzung und kann nicht ersetzt werden durch Abbildungen oder ähnliches. Das konkrete Phänomen ist Ausgangspunkt für die Interpretation und die Erfahrungen aus erster Hand mit dem Phänomen müssen gewährleistet sein. Durch die Interpretation wird das Phänomen mit der Persönlichkeit der Besucher und Besucherinnen verbunden.
Schwieriges Erbe interpretieren
Monumente und Erbe aus der Vergangenheit können auch konfliktbeladen sein, wie zum Beispiel Relikte aus der Zeit des Nationalsozialismus. Eine Interpretation muss hier besonders sensibel geplant und umgesetzt werden. Wichtig ist eine Orientierung an europäischen oder universellen Werten, damit die Interpretation nicht missverstanden oder gar missbraucht werden kann.
Für diese Fälle lohnt es sich, den Lernpfad Wertevermittlung - Kreative Möglichkeiten, Werte in Weiterbildungen einzubeziehen zu besuchen. Darin werden unter anderem der Umgang mit gegensätzlichen Werten und Situationen betrachtet, in denen eine kritische Auseinandersetzung mit Werten notwendig scheint.