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Gering literalisierte Erwachsene verfügen oft über schriftsprachliche Kompetenzen auf der Laut- und Buchstabenebene, insbesondere wenn sie in Deutschland die Schule besucht haben. Bei zugewanderten Erwachsenen gestaltet sich dies anders, da viele von ihnen in ihrer Heimat keine oder nur wenige Schuljahre absolviert haben. In solchen Fällen bereitet bereits das Lesen auf Alpha-Level 1 große Schwierigkeiten. Das Beispiel des Lesens in Blindenschrift verdeutlicht, wie anspruchsvoll es sein kann, einzelne Zeichen zu erkennen und Wörter zusammenzusetzen, wenn das Schriftsystem nicht vertraut ist. Dies führt dazu, dass Wörter zunächst buchstabengetreu entziffert werden müssen, ohne dass sie inhaltlich verstanden werden. Der Lesende ist gezwungen, Buchstabe für Buchstabe zu einem unbekannten Ganzen zu verbinden, was im Kontext einer Fremdsprache zu erheblichen Problemen führt.
Zentral ist, dass Sprache und Kontext beim Lesen eine entscheidende Rolle spielen. Lesen gelingt leichter, wenn die Bedeutung von Wörtern bekannt ist und Erwartungen an den Text bestehen. Erwartungshaltungen führen dazu, dass geübte Leser nicht ausschließlich das wahrnehmen, was visuell vorliegt, sondern auch das, was plausibel erscheint. Dies wird deutlich, wenn ein Zeichen je nach Erwartung als Buchstabe oder als Zahl interpretiert wird. Ebenso werden Wortendungen oder vertraute Strukturen häufig automatisch ergänzt, auch wenn sie im Text gar nicht stehen.
Das Lesen hängt stark vom Satzkontext ab. Einzelne Buchstaben oder Wörter können in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedlich interpretiert werden. Der Sinnzusammenhang erleichtert die richtige Lesart, selbst wenn die Buchstabenformen schwer unterscheidbar sind. So können auch unleserliche Handschriften oder bewusst veränderte Schriftformen verstanden werden, weil das Gehirn Bedeutungen konstruiert. Das Dekodieren und das Verstehen gehen somit eng ineinander über.
Besonders deutlich wird die Rolle des Kontextes bei der Unterscheidung zwischen Alltagssprache und Fachsprache. Während Texte in alltagssprachlichem Register auch bei eingeschränkter Lesekompetenz leichter erschlossen werden können, stellen Fachtexte eine weitaus größere Hürde dar. Geübte Leser sind in der Lage, unvollständige oder verfremdete Wörter in einem Satz dennoch korrekt zu erkennen, weil sie sich am Sinn orientieren. Sobald jedoch komplexe Fachbegriffe oder unbekannte Strukturen auftreten, stößt diese Fähigkeit an Grenzen. Fachtexte sind daher für Lernende mit geringer Literalität besonders schwer zugänglich, da sie nicht nur die Dekodierung, sondern auch ein vertieftes Sprach- und Fachverständnis erfordern.
Insgesamt zeigt sich, dass Lesen kein reiner Abbildungsprozess ist, sondern ein Konstruktionsprozess, bei dem visuelle Informationen, sprachliche Kenntnisse, Kontext und Erwartungen zusammenwirken. Schwierigkeiten entstehen insbesondere dann, wenn Sprache und Inhalte nicht bekannt sind oder wenn Texte im fachsprachlichen Register verfasst sind.